Gedicht des Monats November 2011

Fragmente

Die gespeicherten Fragmente der Kindheit, oft kopiert,
verblassen nicht.

Hauptquartier Küche: Platz für sechs Personen,
Zusammenrücken zwangsläufig.

Götterspeise: Pellkartoffeln mit Leinöl.

Floristische Zugabe im Winter:
Eisblumen an den Fenstern der Schlafkammer.

Stressübung: Bei Dunkelheit außer Haus
zum Plumpsklo gehen zu müssen.

Heilige Einfalt:
Im Hof die Ehrfurcht gebietende Höhe des Birnbaums.

Im Garten die Lust des Paradieses:
Drei Pflaumen an knorrigem Ast.

Vor der Haustür: Die grenzenlosen Äcker und Wiesen,
ganzjährige Feldarbeit inbegriffen.

Aufbruch in den Ur-Wald, voller Überraschungen
wie die erträumten Küsse eines Liebhabers.

Seefahrt im Tümpel auf einem Floß aus alten Brettern
und ausgedienten Wehrmachtskanistern.

Erster Feldherrnausritt, ohne Sattel, versteht sich,
auf einem Ackergaul unter Apfelbaumzweigen hindurch.

Fußball spielen mit Lumpen, die in einen Frauenstrumpf
gequetscht wurden.

Unbekümmerte Tage,
trotz Schlangestehen um Brot und Fisch.
Das Gefühl, barfuß übers Stoppelfeld rennen zu können,
machte solche Winzigkeit dreimal wett.

Helle Abende ohne Wortbruch und Zweifel:
Vaters Versuch, seine Gedanken nicht stolpern zu lassen.
Mamas verstohlenes Wegwischen der Tränen
beim Tode ihrer Mutter.

Nächte in schöner Abwesenheit,
und dann und wann ein Morgen,
der mich auf dem Holzfußboden neben dem Bett wiedersah. –

Ich lebe aus der Ruhe der Kindheit.
Sie hat mich Sehen und Staunen gelehrt.

Josef Butscher

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